Die Musik eines Sommers
Den Sommer 1841 verbrachte Franz Liszt mit seiner Lebensgefährtin Marie Gräfin d’Agoult auf der kleinen, südlich von Bonn gelegenen Rheininsel Nonnenwerth. Hier komponierte Liszt eines seiner schönsten Stücke, ›Die Zelle in Nonnenwerth‹, und träumte von einer leichten hellen Sommermusik ohne Anfang und Ende, aus dem Nichts kommend und ins Nichts wieder verwehend. Marie d’Agoult, die unter Pseudonym Zeitungsartikel veröffentlichte und Schriftstellerin werden wollte, sollte seine Sommermusik mit einer Prosasuite begleiten: »Schau dir die Schatten an, die die Bäume in diesem Sommer auf die Insel werfen«, sagte Liszt. »Beschreib die Schatten dieses Sommers. Das Beste wäre natürlich, wenn deine schwarzen Sätze auf dem weißen Papier die Schatten nicht nur beschreiben, sondern die Schatten selber sind. Unbegreiflich und unerklärbar.« 170 Jahre später schreibt Christian Linder dieses (von Marie d’Agoult damals nicht verfasste) Capriccio, rekonstruiert in einer literarischen Fiktion Liszts und Marie d’Agoults Arbeitsurlaub und zeigt das Seelenmaterial, das die beiden verband … und schließlich trennte.
Carina Lautenbacher, Donaukurier, 22. Oktober 2011