In den Jahren 1927 bis 1932, in der Zeit von Weltwirtschaftskrise und aufkommendem Nationalsozialismus, zieht sich Wilhelm Lehmann in die karge Schwansener Landschaft im Nordosten Schleswig-Holsteins zurück, um zu wandern, riechen, schmecken, sehen, fühlen. Voller Ehrfurcht und Poesie, doch immer genau in ihren Beobachtungen sind seine Aufzeichnungen dieser Erfahrung des Naturschönen, deren Sprache eher an britischen denn an deutschen Autoren geschult ist, eher an Wordsworth denn an Hölderlin erinnert. Ihre Chronologie folgt dem Zyklus der Jahreszeiten, ihr Gegenstand ist das Wunder des Werdens, Reifens und Vergehens, das sich in der Melodie des Zaunkönigs ebenso offenbart wie im Hundegebell. Eine Raupe kurz vor ihrer Verpuppung erscheint dieser Beobachtung ebenso staunens- und berichtenswert wie ergraute Disteln, ein neugeborenes Lamm, die Windstille eines Sommertags. So beschwört das Bukolische Tagebuch ein naturverbundenes Leben, das die Gaben, die es nutzt, nicht verschwendet, sondern schont. Lehmanns Almanach, der von der deutschen Ökologie-Bewegung unverständlicherweise unberücksichtigt blieb, lässt sich nicht nur als radikaler utopischer Gegenentwurf zu den Verheerungen der Zivilisation lesen, sondern auch als eine erste Theorie des Anthropozäns. 1923 gemeinsam mit Robert Musil von Alfred Döblin mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet, gehört Lehmann heute zu den unbekannten Klassikern der deutschen Literatur. Ergänzt mit Texten zur Natur, lädt diese Ausgabe zu einer längst überfälligen Neuentdeckung ein.
»Das Bukolische Tagebuch ist der Roman einer Landschaft. Es gibt keine Handlung und doch geschieht so ungeheuer viel, dass man die Texte mehrmals und mit immer neuer Begeisterung liest - auch wegen der rhythmischen, präzisen, fast musikalischen Sprache.«
– Wolfgang Menzel, Literaturblatt für Baden-Württemberg
»Hanns Zischler gelingt es, in seinem fulminanten, vielseitig orientierten Nachwort das Buch in die Gegenwart zu transportieren. Es sind der Stil, der überraschende Einfall, der kraftvolle verbale Ausdruck eines Handelns und Geschehens, der inspirierte Blick, der den Leser immer wieder sofort einsteigen lässt.«
– Uwe Pörksen, Badische Zeitung
»Die Naturbeobachtungen des unermüdlichen Wanderers sind von einer Genauigkeit und Bildhaftigkeit, dass man meint, wissenschaftliche Dichtung oder gedichtete Wissenschaft zu lesen – und dabei durchdrungen von einem hohen moralischen Anspruch: dass nämlich alles, was lebt, was im Kreislauf der Natur entsteht und vergeht, ein so hohes Gut ist, dass die Politik mit ihrem auf Ideologien gegründeten Veränderungs- und schließlich Zerstörungsdrang darauf keinen Einfluss haben darf.«
– Peter Zimmermann, ORF
»Dieser klug komponierte Band aus der wunderbaren Reihe ›Naturkunden‹ zeigt uns einen halbvergessenen deutschen Dichter, der auf den ersten Blick romantisch-unmodern erscheint, bei näherem Hinsehen aber unseren, des Lesers Blick auf die Natur enorm zu schärfen vermag.«
– Andreas Wirthensohn, Passauer Neue Presse