Mit großem Bedauern haben wir vom Hinscheiden unseres geschätzten Kollegen Hermann Amborn erfahren. Wie mir Herr Prof Dr. Magnus Treiber über seinen beliebten Doktorvater erzählte, fand dieser seinen Weg zur Ethnologie, als er auf einer Reise Mitte der 1950er-Jahre durch den Nahen Osten über Syrien, den Irak und Pakistan nach Indien gelangte und sich dort fremd und ahnungslos fühlte. Zurück in Deutschland machte er das Abitur nach und studierte an der TU München Ingenieurwissenschaften. Noch als Student kam er mit der Ethnologie in Berührung und wechselte nach seinem Abschluss 1963 zu einem zweiten Studium an die LMU.
1965 wurde Hermann Amborn in Hermann Baumanns DFG-Projekt „Märchen und Mythen in Afrika“ angestellt. 1968 war auch an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität eine Zeit der Spannungen und des Umbruches, die Hermann Amborn miterlebte und auch mitgestaltete. Beinahe hätte er das Münchner Institut deshalb verlassen. In diesem Jahr kam aber auch der Jensen-Schüler und Südäthiopien-Ethnologe Helmut Straube nach München und zeigte neue Möglichkeiten auf. Hermann Amborn promovierte 1973 bei ihm zur Eisenverhüttung im Niltal und deren Bedeutung für das subsaharische Afrika – ein Werk, das auch mit den spekulativen Ansätzen des kulturhistorischen Diffusionismus brach. In den 1970er- und frühen 1980er-Jahren – in den letzten Jahren Haile Selassies sowie während und nach der äthiopischen Revolution – konnte er Straubes Südäthiopien-Forschung bei den Dullay, Burji und Konso fortsetzen und einen eigenen Münchner Südäthiopien-Schwerpunkt begründen. Neben Sprachstudien zum Dullay erarbeitete er hier die Grundlagen für seine herausragende Habilitation zur sozialen Organisation von Handwerk in südäthiopischen Agrargesellschaften, die er unter dem Titel „Differenzierung und Integration“ veröffentlichte. Gleichzeitig entstanden langjährige Freundschaften und ein intensiver Austausch mit Forschungspartnern und lokalen Intellektuellen. In Äthiopien wurde Hermann Amborn zu einem der wichtigsten Aktionsethnologen im deutschsprachigen Raum und in diesem Zuge zum langjährigen Sprecher der AG Ethik in der damaligen Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde.
In seiner Zeit als angestellter C2-Professor für Ethnologie an der Universität München von 1987 bis 1998 und während seiner Vertretungen in Hamburg und Berlin bzw. seiner Gastdozentur in Kansas 1996 entstanden neben klassischeren ethnologischen Studien auch programmatische Aufsätze wie „Die Rückkehr der Ethik in die deutsche Ethnologie“ oder „Handlungsfähiger Diskurs“ (1993), die prominent zur Neuausrichtung der Ethnologie beitrugen. Sein langjähriges und sehr grundsätzliches Interesse an polykephalen Gesellschaften und ihrer komplexen Abwehr zentraler Herrschaft brachte ihm zu seiner breiten Anerkennung in Fachkreisen schließlich lange nach seiner Emeritierung auch eine breite Leserschaft und Öffentlichkeit ein.
Sein Essay „Das Recht als Hort der Anarchie“ (Matthes und Seitz Berlin 2016, inzwischen ins Englische und ins Italienische übersetzt) bereicherte nicht nur die ethnologische Anarchieforschung um die Dimension des Rechtes, sondern auch eine allgemeine intellektuelle Debatte um Recht, Macht und Herrschaft.
Wir erinnern uns an Hermann Amborn als einen gewitzten und lebenslustigen, aber gleichermaßen politisch engagierten Menschen und Kollegen. Den Kolleginnen und Kollegen in der Ethnologie wird Ihr Onkel in guter Erinnerung bleiben. In unserer Fakultät werden wir Herrn Amborn ein ehrendes Andenken bewahren.
Irene Götz, Dekanin der Fakultät für Kulturwissenschaften an der LMU München