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Publikumsberatung
»In ›publikumsberatung‹ führen Kathrin Röggla und Leopold von Verschuer virtuos zahlreiche Mittel der intellektuellen Rede vor – die Anekdote, die Abschweifung, die Fähigkeit zur Assoziation und Improvisation, das Ausstellen von Fakten- und Diskurs-Wissen. Sie führen die inflationären Moden und ihre kurzen Halbwertszeiten ad absurdum, die ebenso zum Geschäft professioneller Vortragskunst gehören, wie die Erwartung, das Publikum in den Bann zu ziehen. Der Ersatzreferent der live im Radio übertragenen Landeshauptstadtkulturgespräche zieht alle Register – aber er beherrscht sie nicht. Die Mittel führen zu keinem Zweck, die Techniken der gelehrten Rede ordnen kein gelingendes Ganzes: Die Anekdoten sind nicht spritzig, die Abschweifungen ziellos, die Improvisationen stümperhaft, die Komik unfreiwillig. Die Assoziationsketten des tapferen Redners wirken auf unheimliche Weise schlüssig; unheimlich, weil ihr tieferer Sinn sich dem Publikum einfach nicht zu enträtseln vermag.
Nicht nur die Rhetorik verschwört sich gegen den Redner – es spricht aus ihm! –, auch der Inhalt – sein Thema, seine Themen (?) – machen sich selbstständig. Der Tod, Heiner Müller, die Angst, der Erfolg, der Humor, die Kunst als Gegenmodell, Michel Foucault, Hanns Zischler. Gilles Deleuze, die Kontrollgesellschaft … worum ging es noch mal? Im Medium des intellektuellen Diskurses stellen Röggla und von Verschuer sein Scheitern dar.
»publikumsberatung« ist eine ironische Anspielung auf Peter Handkes ›Publikumsbeschimpfung‹ und bringt raffiniert die (technischen) Möglichkeiten einer Spiel-im-Spiel Inszenierung im Medium Radio zum Einsatz. Röggla und von Verschuer legen einen Text vor, den niederzuschreiben eigentlich jedem anständigen Intellektuellen widerstreben müsste. Zum Glück jedoch besitzen die Autoren eine ausgesprochene Lust am Paradox. Verschuer, der auch für die Regie von ›publikumsberatung‹ verantwortlich zeichnet, schlüpft in die Rolle des Ersatzreferenten und brilliert mit einer tastenden, zögernden, bisweilen selbstvergessen anmutenden Rede. Die Kunst von Röggla und von Verschuer besteht darin, dieses Scheitern gelingen zu lassen, ein Stammeln zu verfassen, das in seiner Eloquenz bestechend ist, einen postmodernen, oder besser: postpostmodernen Intellektuellen vorzuführen, aber nicht bloßzustellen. Im Gegenteil, in seiner Unbeirrtheit angesichts des um ihn herum tobenden Chaos’ – ihm bleibt ja nicht verborgen, dass das Publikum scharenweise und auch pöbelnd den Sendesaal verlässt – blitzt eine neue, zweifelnde, verzweifelnde Form des Heroismus auf.«
Ebook
ISBN: 978-3-88221-919-7 9783882219197
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Veröffentlicht: 2012
Originaltitel: Publikumsberatung (Deutsch)
Schlagworte: Rhetorik, Vorlesung, Vortrag