09.05.2013

Michael Donhausers ›Variationen in Prosa‹. Von Sina dell'Anno

Sina dell'Anno: Michael Donhausers ›Variationen in Prosa‹

Versucht man, etwas verloren und gleichsam ergriffen in der scheinbaren Undurchdringlichkeit der vielstimmig klingenden Evokationen und abreissend hallenden Erzählfragmenten von Donhausers Variationen, sich diesen Gedichten, die als solche noch nicht einmal durch eine Versform äusserlich gekennzeichnet sind, zu nähern, so wird man mit dem sprechenden Titel, und damit mit der Frage nach dem Was der Variation, quasi der „Variable“ beginnen. Dieses Vorhaben muss jedoch schon vor seiner Inangriffnahme dahingehend relativiert werden, dass die Bezeichnung der Variation selbst bereits impliziert, dass es sich dabei um Annäherungsversuche an ein nicht endgültig zu Umschreibendes handelt, womit auch die Benennung des variierten Gegenstandes immer nur „Übersetzung“ in ein dem Interpretierenden vertrauteres Metaphernkonstrukt handeln kann. Somit finden wir im Titel Variationen die poetisch-poetologische Überhöhung der Brooks'schen heresy of paraphrase, wenn uns der „Inhalt“ des Gedichts im Vornherein als einer vorgestellt wird, der sich in einem einzigen „poetischen Bild“, einer einzigen „Variante“ der Variation nicht festhalten lässt. In diesem Sinne der Untrennbarkeit von Form und Inhalt sei es entschuldigt, wenn sich auch der Sekundärtext als Versuch einer Interpretation stilistisch dem thematisierten Gedicht annähert, im Wissen darum, dass eine Rede über etwas, das sich nicht sagen lässt, immer nur um eine Um- oder Reformulierung handeln kann.

Versuchte man nun aber also, sich jenem Variierten umschreibend zu nähern, bliebe das gemeinsame Substrat, die zugrundeliegende „Intention“ der vielfältigen Ausprägungen, am ehesten zu benennen als synästhetische Evokation einer Herbststimmung, bzw. deren Erleben durch das lyrische Ich. Diese verhältnismässig schnell erfolgte jahreszeitliche Bestimmung ist v.a. der vielfachen Nennung und Evozierung von fallenden und sich verfärbenden Blättern, entlaubten Zweigen und Baumkronen, von reifen bis gärenden Herbstfrüchten (Birnen, Äpfel) bis zum expliziten Herbst der vierten Variation, und darauf dem herbstlich gewölbten Himmel (Var. 5), zuzuschreiben. Darübergebreitet quasi als bestimmender, alles ergreifender Gestus verbindet die fünf Variationen bzw. deren einzeln evozierte Bildteile die Bewegung des Sinkens, das in der Imperfektform sank die bestimmende Klangfarbe des tief-dunklen, ruhenden a als Grundtonalität des Gedichts aufnimmt. Diese lautliche Koloristik der sanft-dunklen Weichheit und des in sich ruhenden Wohlklangs wird von der ersten syntaktischen Sinneinheit, insbesondere dem eröffnenden Relativsatz (Und was da war) der ersten Variation programmatisch grundierend angeklungen. Gerade für diese erste Variation kann die Klangqualität des a- und w-Lautes als bestimmend bezeichnet werden, in die sich die Melancholie eines klagend-zweifelnden o (verloren, ob, wo) sowie dessen versöhnlichere offene Schattierung (voll, Dolden) mischt, die sich mit der Dominanz der sanften Dauerlaute bzw. stimmhaften Okklusive zu einem harmonischen Gesamtbild zusammenschliessen. Diese durchdachte klangliche Abstimmung der einzelnen Bilder verweist neben ihrem Beitrag zum synästhetischen Gesamteindruck des Gedichts auf eine zusätzliche Bedeutungsebene, die sich durch die Analogie der klanglichen Qualitäten ergibt, womit sich die Form des Gedichts als Sprachlichkeit an sich erweist, indem es seine strukturellen Gesetzlichkeiten als die klingende Rhythmik der Sprache selbst entwickelt. So erhalten die semantischen Einheiten des ersten Relativsatzes durch ihre klangfarbliche Einheit (was da war) gleichsam die Resonanz einer übergeordneten Sinnebene, begegnen uns als das „zu Suchende“ des Gedichtes an sich, dessen Spuren sich in der Wiederaufnahme der wa-Laute verfolgen lassen. Davon ausgehend, dass wir es bei der ersten Variation also um den Annäherungsversuch an ein „etwas, das da war“ zu tun haben – ohne dessen ontologischen Zustand irgendwie näher festlegen zu wollen – lassen sich in diesem poetischen Bild zwei Ebenen der Umschreibung unterscheiden, oder vielmehr müssen diese mehr oder weniger gewaltsam differenziert werden, da sie uns in der Darstellung des Gedichts schier untrennbar verschlungen begegnen. Es ist dies die Ebene der Manifestation dieses was da war in der Natur, gegenüber seiner Wahrnehmung durch den von ihr umgebenen Menschen, sprich dem lyrischen „Wir“. Die Beobachtung dieser engen Verzahnung von wahrnehmendem Subjekt und Umwelt, des Luftzugs durchs Laub als Sehen, Wut, erinnert als Lust, führt in die Richtung einer phänomenologisch erkenntnistheoretischen Lektüre, die das Augenmerk besonders auf die Schilderung von Wahrnehmungsprozessen durch das Gedicht lenkt. Nachdrücklicher aber, so scheint es, drängen die Variationen zur Hingabe und Auseinandersetzung mit (ein möglicher Widerspruch) jenem Wahrgenommenen als „etwas“, das sich uns als das Umschriebene des Gedichts, als seine wörtliche Veräusserung zeigt – womit sich die metapoetisch-sprachkritische Interpretationsebene in ihrer ganzen Tragweite erschliesst.

Ausgehend von der sprachlichen Form, in der sich das vom Menschen Wahrgenommene durch das Gedicht zeigt, finden wir die poetische Umschreibung als ein Miteinander von abstrakt-assoziativen Nennungen (insbesondere die klingenden Substantive – Lächeln, Frage, Früchte, Weg, Duft, Laub, Luftzug, Sehen, Wut, Lust, See, Licht, Dolden, Tag Armen - sowie die schillernden Adjektive, die uns gleichsam als Prädikatsnomina des wegweisenden war begegnen – verzweigt, schön, gross, ungetrübt, gütig, trunken, süss, mild) und verbalen Konstruktionen, die annähernd als erzählende Fragmente bezeichnet werden können, während die Verben jedoch auf nicht minder bedeutungsvolle Weise ihr assoziatives Potential entfalten – annehmen, verloren gehen, streifen, reifen, fallen, fahren, erinnern, stehen, umfangen, erblühen, sinken. Dem sprachlichen Grundcharakter der elliptisch-unbegreiflichen Momenthaftigkeit wohnt eine übermächtige, fast auratische Strahlkraft inne, in deren Resonanz sich der Leser in gedankenspielerischem Mitschwingen gleichsam selbst begriffen fühlt. Die stilistische Beobachtung der abgehackt fragmentarischen Form, oder vielmehr des lediglichen sprachlichen Anklingens von Welten oder eines „etwas“, das durch apositionelle oder parataktische Fügungen laufend revidiert, entwickelt, gleichsam verwandelt wird, versinnbildlicht als poetische Technik im Gesamteindruck die Unformulierbarkeit des als unmittelbar Wahrgenommenen in erzählend-verallgemeinernden syntaktischen Einheiten. Die Vermittlung des „Inhalts“, der komplexen Wahrnehmung, kann scheinbar nicht anders als in einer verbalen Reevokation der Erscheinungen und ihrer Resonanz im Subjekt geschehen. Für diese „Beschwörung“ des Atmosphärischen bedient sich das Gedicht in der Ausschöpfung seiner darstellerischen Möglichkeiten der sprachlichen Verknüpfung oder Einssetzung von Mensch und Natur. Die Unmöglichkeit, die Atmosphäre in Worten zu fassen, wird also kompensiert durch die sprachliche Ermöglichung einer gegenseitigen Durchdringung von Individuum und Umgebung, von Mensch und Natur, die diese Stimmung damit als vorübergehend erfahrbar verwirklichen. So wird die umfangende Unmittelbarkeit, in der das „Wir“ die Natur erfährt, in ein bald olfaktorisches, bald taktiles Sehen (Duft, Luftzug) übersetzt, während gerade die Bewegung der Natur, das flüchtig Streifende, Fallende, der durchs Laub fahrende Luftzug, die sich mit dem Fortschreiten der Variationen zu besagtem Gestus des Neigens oder Sinkens verdichten, als menschliche Gemütsregungen erscheint, als Lächeln, bald als Frage, als Wut, welche in der Reflexion bereits als Lust empfunden wird. Die Annäherung des erlebten Mitschwingens mit der Natur an emotionale Reaktionen wie Wut deutet zugleich auf eine implizite Sinnebene der wahrgenommenen Phänomene, welche diesen vom erfahrenden Individuum zugesprochen werden, der erfahrenen Ergriffenheit wird auf der Ebene des sich wahrnehmenden Wahrnehmenden eine nicht rational zugängliche Bedeutung unterstellt, welche zu ergründen in der Reflexion qua Reevokation der Atmosphäre durch das Gedicht versucht wird. Diese Bedeutung dessen, was neben dem Selbst und dem Selbst als Wahrnehmendes erfahren wird, erschliesst sich uns gleichsam atmosphärisch im bereits erwähnten übergreifenden Gestus der Neige, des Weichens und Sinkens, wobei schon durch die Bezeichnung des Naturphänomens als „Geste“ ebenjene Sinnebene als Ausdruckswille, als symbolhaftes „Als ob“ impliziert wird. Es ist die Herbstlichkeit als die Manifestation eines – wie sich im Fortschreiten der Variationen erweisen wird – unwiderruflichen zu Ende Gehens in der trügerisch verheissungsvollen Form reifer Früchte und bunter Blätter, welche das lyrische Ich in der natürlichen Unmittelbarkeit der Erscheinung so ergreift, die halb lustvolle, halb widerstrebende Erfahrung einer Endzeitlichkeit. Neben dieser, sich als Empfindung stetig zum Negativeren verdringlichenden Konfrontation mit dem Ende des Herbstes als Ende der Endzeit und damit dem Stillstand, ist es vor allem die Flüchtigkeit des Augenblicks, in dem sich die Absehbarkeit des zur Neige gegangen-, gesunken- oder gewichen Seins unmittelbar als wahrhaftig offenbart, Gegenstand der kreisend-klingenden Herbstevokationen. Diesbezüglich nimmt sich die erste Variation als besonders bedeutungsvoll aus, da in ihr, der These von Fortschreitung und Verdringlichung der Variationen folgend, nicht mehr als die „Ahnung“ einer Neige thematisiert wird, ein fahrender Luftzug als Anflug eines Abends als Ende. In seiner Zeitlichkeit erfahrbar ist diese Ahnung oder atmosphärische Offenbarung im Umschlag von bedenkenlosem Umfangensein (es nahm uns an), einer selbstvergessenen Hingabe an das atmosphärische Aufgehoben-Sein und der Frage, ob, als welche diese Einklangserfahrung bereits wieder verloren ging, dadurch, dass man versucht hat, sie einem rationalen Erkenntnisprozess, einer zweifelnd deutenden Reflexion zu unterwerfen. Das (hinter)fragende Reflektieren begegnet uns als fluchtartiger Regress in eine (re)konstruierte Form des Bewusstseins, welche als solche niemals den Wahrheitsanspruch der unmittelbaren Erfahrung haben kann. Die momenthafte Erkenntnis des Sehens wiederum, wie sie sich aus der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung des Weges, des Duftes, ergibt, verwandelt sich als Empfindung in ein emotionales Widerstreben, eine Wut, die sich als erotische Form der verstärkten Selbstwahrnehmung erweist, als Lust des Individuums in der Natur, in der Stimmung, von der es angenommen wurde. Wir finden uns als Leser also bereits in dieser Variation in der Spannung zwischen einem affekthaften Wohlbefinden, das wohl jenem trunkenen Erblühen, den reifenden Früchten, dem Schönen, Grossen, Ungetrübten zuzuschreiben ist, und das schon mit der dritten Fügung der ersten Zeile verloren geht, oder vielmehr als Verlorengegangenes beschrieben wird, sodass ebenjene üppig-hoffnungsvollen Prädikatsnomina in der zarten Melancholie des Imperfekt (war) aufscheinen. Die reifende Frucht, deren Vollkommenheit mit ihrem Fall in eins fällt, sodass sie ihre Vollendung also gleichsam im Tod findet, begegnet uns als Sinnbild für dieses Paradoxon der Herbstlichkeit, dieses Miteinander von verheissungsvoll-zukunftsgewandter Lebensbejahung und einer still-leisen Endgültigkeit einer Todesgeweihtheit. Diese bewegende Ambivalenz als Ausdruck eines Widerspruchs, der sich durch seine Gegebenheit nicht verunmöglicht, wird in den weiteren Variationen vertiefend geschildert, gleichsam über das Ganze Gedicht in seinen Ausprägungen differenziert und schauend in seiner Unvereinbarkeit ausgelotet. Fand nämlich das erste poetische Bild seine Abrundung in einer prächtig-versöhnlichen Naturverbundenheit, in der die Zeitlichkeit als Tag das lyrische „Wirgütig fast vor dem Sturz bewahrt, um gleichsam mitschwingend in rauschhafter Selbstverherrlichung zur vorübergehenden Ruhe zu kommen, so umschreibt die zweite Variation die Widersprüchlichkeit der Naturerscheinung in einer stärkeren Kontrastierung und mit einer unterschwelligen Gewissheit um die Unwiderruflichkeit des endgültigen Neigens, das sich in der Herbstlandschaft ankündigt. So wird das erste Prodigium einer Endzeitlichkeit, die sich neigenden Rosen, von den Dahlien und der spätsommerlichen Verfärbung und Restwärme unterlaufen, um dann jedoch als Gegenargument zur Neige einem leise-resignativen Konjunktiv unterstellt zu werden, unter dem sich das im Wiegen lediglich als vorübergehende Verschleierung eines nahenden Stillstands, eines Bleibens, entpuppt, als Trugbild einer rhythmisch-besänftigenden Unaufhörlichkeit, während das Wanken schon zum mitleiderregenden Zögern der Natur selbst als Zaudern vor diesem Stillstand immer mehr zu einer semantischen Einheit verdichtet wird, einem Bild des Endens, wo Birnen wie Äpfel oder lagen, wo die Erscheinungsformen der herbstlichen Natur einer übergeordneten Gestik unterstellt werden, welche ihre jeweilige Ausprägung ein Stück weit irrelevant und austauschbar macht. Auffällig in dieser Variation ist das Fehlen eines lyrischen Ich im Gedicht, wenngleich die Lesart naheliegt, dass wir es noch immer mit derselben atmosphärischen Naturerfahrung zu tun haben, deren Kontemplation nun in einer genaueren Betrachtung der Umgebung richtungslos antwortsuchend kreist. Die sanfte Trostlosigkeit, die aus der in kühner lautlicher Verschränkung erscheinenden Darstellung einer lose im Wind wankenden Wickenranke spricht, am rostenden Zaun, welcher die Verfärbung durch Korrosion in analoger Anlehnung an die herbstliche Natur unter das Paradigma des Zerfalls stellt, diese Vorzeichen der Endzeitlichkeit werden mit der dritten Variation wiederum um die Ebene ihrer Wahrnehmung erweitert. Der Mensch begegnet uns als Menschenwesen unter Bäumen, als Implikation einer gewissen Fremdartigkeit der Natur gegenüber, einer Unzugänglichkeit, die sich im wie verloren Gehen jener Menschen manifestiert, das schon nicht mehr eine selbstvergessene Aufgehobenheit sein kann, sondern eine irrende Bewegung auf der Suche nach Anschluss an die bereits verblühten Tage, ein selbsttäuschendes Fortbewegen, das mit dem Statischen der Bäume kontrastiert. Sie gehen verloren an die Dauer der langen, golden-blauenden Tage, ergriffen also in einer Reminiszenz an die hoffnungsvoll-naive Naturverbundenheit der ersten Variation, welche sich der Unmittelbarkeit von Endlichkeit in der Herbststimmung noch zu entziehen vermag. Die Evokation der Bäume am See, welche die verträumte Erinnerungsseligkeit schliesslich in einen Anflug von Verzweiflung wendet, hebt die Unnahbarkeit der silbern sich reihenden Pappeln in aller Deutlichkeit vom bewegten Widerstreben der Birkenblätter ab, welche, erschrocken über ihren eigenen Fall, ihre Hinfälligkeit, sich nach der Zeit vor der Erkenntnis dieses genahten Endes sehnen, welche nun, einst erschrockener Ruf, als Frage nach den Blumen im Winter nachhallt, die durch ihre Absenz, ihr herbstliches Welken nunmehr als Manifestation des Vorbeiseins zum Stillstand kommen. Die Pappel wiederum evoziert in ihrer ganzen Stimmigkeit zusätzlich den metapoetischen Diskurs, indem sie als lautmalerische Anlehnung an Sprechgeräusche (Papperlapapp, Plappern), als silbern (Silbe) gereihte (Parataxe) zum Symbol für die erhabene Unnahbarkeit sprachlicher Formulierungen wird, deren Unvermögen zur Unmittelbarkeit hier erneut angetönt wird. Zugleich aber erweist sich die Sprache mit diesem Beispiel als mit der nicht zu unterschätzenden Kraft ausgestattet, die Sachen der Welt gleichsam wider der menschlichen Wahrnehmung in ihrem Wesenskern zu fassen, indem sie die Wörtlichkeit der Pappel onomatopoetisch festhält. Die Reihung der unnahbar-wortgewordenen Pappeln nunmehr mit den Birken, deren gefallene Blätter die allmähliche Erstarrung der Natur unmittelbar „vermitteln“, knüpft die Endzeitlichkeit des Herbstes an eine zunehmende Wortlosigkeit der im Entblättern ergriffenen Subjekte. In dieser Ausdrucksweise der vierten Variation wird auch die deutlichere Wahrnehmung der Negativität jener herbstlichen Naturatmosphäre, das Ent-blättern als Verlust, die Herbstlichkeit als Weichen, spürbar. Was zuvor noch süss und mild sank wird jetzt einem tragischeren Stürzen angenähert, auch in der Geordnetheit des „Herbstens“ schwingt eine melancholische Schicksalshaftigkeit. Die märchenhafte Verfärbung der Natur verkommt gar zur morbiden Verwahrlosung, in der die Gärten einem zunehmend regungslosen Zerfall ausgeliefert sind. Die auffällige Alliteration, in der das Welkende umschrieben wird, lenkt die Aufmerksamkeit wiederum auf die Metaebene der Sprachlichkeit, eine Assoziation, welche von der Wortwahl des Fügens (Satz-/Wortgefüge) unterstützt wird und sich auch mit der Qualität des Wundertätigen verbinden lässt, indem der Sprache, wie anfangs bereits angesprochen, schon dann eine beinahe magische Kompetenz der Realitätskonstruktion zukommt, wenn das menschliche Bewusstsein primär als ein in Worte gefasstes verstanden wird. In der Formulierung des Gedichts jedoch wird ebenjene magische Fähigkeit – in Anlehnung an die Abwertung der märchenhaften Blätterverfärbung – in Zweifel gezogen, es scheinen die Worte gleichsam mit den Blumen zu welken, die Wortlosigkeit scheint mit der buchstäblichen Ernüchterung der umfangenden Tage um sich zu greifen. Die kühle Verlassenheit schliesslich bildet das letzte Glied einer Reihe von Komposita, welche mit ihrem Präfix einen Zustand der Endgültigkeit, des zu Ende Seins formulieren: verwahrlosen, verwünschen, vergessen, verlassen. Sie evozieren eine Negativität, welche im abendgeweihten Nichts der letzten parataktischen Fügung kulminiert, als wunschlose Ruhe, als zur Neige Gegangenes, dessen Neige dadurch, dass sie überwachsen ist, als solche nicht einmal mehr sichtbar als Geschehene manifest, ja ihrer Phänomenalität beraubt wird. Die kühle Leere des Tages schliesslich wird dem Herz als letztem Sitz einer hoffnungsvoll-positiven Deutung der Herbststimmung als Ankündigung von Reichhaltigkeit gegenübergestellt, womit der endgültige Umschlag einer naiv-zukunftsgewandten Naturerfahrung, wie sie uns am Schluss der ersten Variation begegnet, in eine Haltung des halb widerstrebenden, halb resignativen Einwilligens in das unabwendbare Enden vollzogen zu sein scheint. Eine gewisse Bestätigung dafür findet sich in der konzessiven Einleitung des folgenden poetischen Bildes, welches noch einmal mit ganzer Kraft die verheissungsvoll-erhebende Seite der Herbstzeit zu evozieren vermag, diese jedoch zugleich unter dem Vorbehalt des trügerischen Scheins schildert. Die vormals dankbar verinnerlichten Prodigien eines Fortbestehens, eines Neuanfangs sogar, werden nunmehr im Moment ihrer Evokation als phantasmagorische Täuschungen entlarvt, als Verlockungen, Spiegelungen, denen zu erliegen das lyrische Ich geneigt ist, was im unentschlossenen Wogen der Zweige und mehr noch im seufzenden Winden seinen Ausdruck findet. Diese zitternd-zögernde Bewegung zwischen naiv-blauer Selbstprojektion und Einwilligung in das bessere „Wissen“ um die Unwiderruflichkeit der Neige kippt mit dem leisen Sinken der vierten Zeile auf letztere Seite, indem das leise das allmähliche Verstummen hin zur Wortlosigkeit thematisch aufnimmt. Die Bewegung des Sinkens leitet eine Reihe von Vergleichen oder eher Gleichsetzungen mit den Erscheinungsformen der Endzeitlichkeit in der Natur ein, welche durch das distanzierende wie den Nachvollzug der Einwilligung durch das Subjekt veranschaulichen, als ein in Einklang Bringen von Mensch und natürlicher Umgebung, das sich in der Innigkeit des resultierenden Verzagens bewahrheitet.

In diesem momenthaften Innewerden gelingt es dem Subjekt, sich in eine heilsam verständnisvolle Übereinstimmung mit seiner Umgebung zu bringen, einem Gleichschwingen, welches sich vor dem drohenden Sturz in die fragend-zerfressende Reflexion bewahrt in einer Suspendierung von rational-intentionalen Erkenntnisprozessen zugunsten einer betrachtend-kontemplativen Wahrnehmung. Es ist das schauende Erkunden der Naturerscheinungen, einer schattierenden Nuancierung der Phänomene, in dem auch die Sprache der Variationen ihre ganze Kraft entfalten kann, indem sich die erfahrene Selbsttäuschung von Ganzheitlichkeit, von umfangender Weltzugehörigkeit, gleichsam in ihrer Sprachlichkeit für die Dauer des Gedichts verwirklicht, wobei es zugleich zu einem Sinnbild der Vergänglichkeit wird, im Bewusstsein, dass es mit dem Verklingen der Vokale, dem Verstummen der Sprachlaute demselben Nichts anheim gegeben ist, über das es den Leser wie das lyrische Ich vorübergehend hinwegzutäuschen vermag.

 

Erstmals erschienen in: manuskripte, 52. Jahrgang, 195. Heft, Graz, März 2012, S. 144-149

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