Von der Öffentlichkeit unbemerkt verstarb bereits am 21. Mai der Schriftsteller Christian Linder. Er stammte aus Lüdenscheid, wo er 1949 als Peter Schröder geboren wurde. Seine Kindheit, an die er sich gern erinnerte, verbrachte er in der Schützenstraße. Nach dem Abitur am Zeppelin-Gymnasium studierte er in Bonn Philosophie und Literaturwissenschaft, schrieb parallel für die Lüdenscheider Nachrichten.
Als Autor bekannt wurde er 1975 mit der Publikation von Gesprächen, die er auf Spaziergängen mit Heinrich Böll geführt hatte („Drei Tage im März“). Zahlreiche essayistische Texte schrieb er für den Deutschlandfunk, die Süddeutsche und die Frankfurter Allgemeine Zeitung, darunter auch einfühlsame Gedanken über Lüdenscheid („Was heißt da schon Provinz? Ansichtskarten aus Lüdenscheid“, FAZ 1997, Nachdruck mit zahlreichen Fotos 2001 in „Die Burg in den Wolken“). Hörspiele brachte er im WDR heraus. Literarisch hervorzuheben sind seine biographischen Werke, über Carl Schmitt (Der Bahnhof von Finnentrop, Matthes & Seitz Berlin 2008), Heinrich Böll (Das Schwirren des heranfliegenden Pfeils, MSB 2009) und Franz Liszt (Sommermusik. Ein Liebestraum Franz Liszts, MSB 2011). Bei seinen Recherchen erkundete er bis in jedes Detail die Orte und Landschaften, in denen sich seine Protagonisten bewegten. Der Untertitel seines Carl Schmitt-Buches lautet bezeichnenderweise „Eine Reise ins Carl Schmitt-Land“. Er war aus seinem Refugium in Niedeggen in der Eifel noch einmal für viele Wochen in die Nachbarschaft seiner Heimatstadt zurückgekommen, hatte sich in Herscheid einquartiert und von dort aus die Spaziergänge Carl Schmitts um Plettenberg-Pasel und die weitere Umgebung nachgewandert. Noch lange schwärmte er von den Ausflugslokalen, die er damals besuchte. Stilistisch heben sich seine biographischen Arbeiten dadurch ab, dass er penibel ermittelte Fakten mit fiktiven Gesprächen und Begegnungen verknüpfte, sie aber nie romanhaft verschmolz; Realität und Fiktion bleiben stets erkennbar. Allen seinen Gestalten widmete er sich mit großer Empathie. Das gilt auch für den zu Recht umstrittenen Carl Schmitt, mit dessen problematischem Lebenslauf er sich dennoch nie solidarisierte. Zuletzt arbeitete er an einem neuen Buch über den Kölner Lyriker Jürgen Becker; es bleibt nun unvollendet.
Unter den Autoren seiner Generation gehört Christian Linder, literarisch umfassend gebildet, sicher zu den Gedankenreichsten. Auch wenn er, zurückhaltend und bescheiden, nie einen Wirbel um sich gemacht hat, ist ihm ein Platz in der Literaturgeschichte sicher. Lüdenscheid, von wenigen Freunden abgesehen, hat sich um ihn kaum gekümmert. Seit Längerem plante er einen Besuch seiner Heimatstadt, auch um im Stadtarchiv nach alten Textquellen zu suchen. In seinem Herzen war er ein Lüdenscheider geblieben. Gesundheitlich musste er die Reise immer wieder verschieben. Wir gedenken seiner in Trauer und Hochachtung.
-- Klaus Crummenerl