Als Hanns Cibulka Anfang der 60er-Jahre zum ersten Mal Hiddensee bereist, bleibt ihm die Insel fremd. Ihm, der in einer mährischen Kleinstadt im Altvatergebirge aufgewachsen war und als Kriegsgefangener auf Sizilien den geschichtsträchtigen, sonnengrellen Süden kennengelernt hatte, erscheint die spröde norddeutsche Landschaft zunächst sperrig und stumm. Doch schon bald kann er sich dem Sog dieses Stücks Erde nicht mehr entziehen und fängt an, dessen eigenwillige Natur in seinen dichten Tagebuchaufzeichnungen in Text zu übersetzen.
In der poetischen Landvermessung eines Sommers an der See finden neben der Geologie und Physik auch Windsbräute und Nebeltöchter ihren Platz, die steten Lichtwechsel und die Monochromie der Farben werden ebenso dokumentiert wie Lektüre- und Hörerlebnisse, Reflexionen über Naturtreue und Kunstwahrheit, Zivilisations- und Technikkritik. Hiddensee erscheint in diesen Tagebuchblättern als ebenso gegenwärtige wie mythische Landschaft, und nicht zuletzt als Symbol dessen, was Schutz erfordert und Bewahrung verdient.
Buch
ISBN: 978-3-95757-864-8 9783957578648
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Veröffentlicht: 2020
Schlagworte: Ostsee, Hiddensee, Landschaftsbetrachtung, Reflexionen, Umweltschutz, Reisetagebuch, DDR
»Sein von düsterer Zivilisationskritik und Kulturpessimismus gefärbtes Ostsee-Tagebuch Seedorn (1985) verstanden viele als heimliches Manifest der aufkeimenden Öko-Bewegung in der DDR.«
– aus dem Nachruf in der Morgenpost 2004
»[Cibulka] setzt die Erfahrung vielstimmiger Natur- und Kulturlandschaften gegen die unmittelbare Zeitgeschichte, und mit dem Weichzeichner einer für kleinste Erschütterungen sensiblen Sprache gelingt es ihm, die historischen Tiefenschichten eines Ortes ans Tageslicht zu bringen. So entstehen Miniaturen von großer Schönheit und Eindringlichkeit, die einen der vordersten Ränge in deutschsprachiger Landschaftsprosa seit Goethe und Stifter beanspruchen.«
– Jan Röhnert, SWR2 Lesenswert