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Zehn Jahre nach seiner Gründung im Jahr 2004 ist Facebook das größte soziale Netzwerk der Welt und einer der mächtigsten Global Player des Internet. Der Reiz dieses Netzwerks liegt auf der Hand: die geballte Kommunikation mit vielen, die Lust der Selbstdarstellung, die Zeugenschaft im Leben der anderen, die reichlichen, pflegeleichten Bekanntschaften, das Wiedersehen alter Freunde etc.. Auch die Negativseite ist hinlänglich bekannt: die Kapitalisierung des Privaten, Überwachung, Selbstdarstellungszwang, Zeitverschwendung. Es gibt etablierte Neologismen und umfangreiche Studien zu Facebook. Zugleich gibt es viele Klischees und Leerstellen in der Reflexion, was Facebook ist und wie es die Gesellschaft verändert.
Der Autor über sein Buch
Das vorliegende Buch untersucht das Phänomen Facebook aus geschichtsphilosophischer, kulturwissenschaftlicher und gedächtnistheoretischer Perspektive. Es vertritt vier Thesen: Hinter dem Narzissmus rastloser Facebook-Nutzer steckt die Angst vor sich selbst; man will das Eigene beim andern loswerden, um nicht selbst damit umgehen zu müssen. Der expandierte Small Talk auf Facebook rettet das Projekt der Post-Moderne vor der Rückkehr der Legitimationserzählungen. Facebook stattet jeden Nutzer mit einer dokumentarischen, mehr oder weniger automatisierten Autobiographie aus, deren primäre Autoren und Leser die Algorithmen am back end des Interface sind. Die Hyper-Attention und Zerstreuung auf Facebook und im Internet insgesamt führt perspektivisch zum Ende des kollektiven Gedächtnisses und scheint so den Boden zu bereiten für Kommunikation jenseits der Kultur.
Was ist die Facebook-Gesellschaft?
Eine Gesellschaft, deren Kommunikationsformen und Kulturtechniken maßgeblich durch die Praktiken der Selbstdarstellung und Weltwahrnehmung auf Facebook bestimmt sind. Die Facebook-Gesellschaft ist eine Ungedulds- und Immersionsgesellschaft mit den Merkmalen: Hyperattention, Multitasking, Transparenz, Big Data, Interaktion, Ranking, Update, Selfie, Like, Jetzt.
Wer gehört zur Facebook-Gesellschaft?
Im Grunde alle. Man braucht keinen Facebook-Account, so wie man ja auch ohne Auto die Auswirkungen der Auto-Gesellschaft spürt. Die Nachrichtenmedien beispielsweise kämpfen auch dann um die Likes eines immer ungeduldigeren Publikums, wenn ihre Beiträge nicht als „Instant Article“ im „News Feed“ von Facebook erscheinen.
Hätte das Buch einen Untertitel, wie wäre der?
Das Verschwinden der Gegenwart und der Verlust reflexiver Welt- und Selbstwahrnehmung.
Wieso verschwinden, wenn die Gegenwart permanent fotografiert und beschrieben wird?
Sie wird eben nicht reflexiv beschrieben, sondern nur reflexhaft festgehalten. Meine These lautet, dass die ständige Mit-Teilung des erlebten Augenblicks davon abhält, diesen wirklich zu erfahren. Die (Over-)Sharing-Kultur ist eine hyperaktive Flucht vor einer Welt, die uns zugleich zu leer und zuviel ist. Es ist eine Kamera-Kultur (und zwar auch wenn man schreibt) im Sinne Kafkas: „man fotografiert Dinge, um sie aus dem Sinn zu verscheuchen“. Wir entfliehen dem Hier und Jetzt in die Parallelwelt des sozialen Netzwerkes.
Gibt es auch etwas Gutes zu berichten?
Ja, aber nur im Gewand des Negativen beziehungsweise der Negation. Der Wechsel vom narrativen Identitätstyp zum episodischen befreit auch von den Verzerrungen und Zwängen, die das Modell der Narration und des kollektiven Gedächtnisses mit sich bringt. Ebenso ermöglicht die Oberflächenkommunikation in sozialen Netzwerken eine kosmopolitische Gemeinschaft jenseits politischer und kultureller Differenzen.
So wird aus der Not eine Tugend?
Nicht ganz. Der Haken ist, dass unbewusste Toleranz und faktischer Kosmopolitismus nur so lange funktionieren, wie die Umstände stabil bleiben, und zwar stabil unpolitisch. Wird die Partystimmung durch neue (religiöse, ideologische, rassistische) Verführer gestört, bricht alles in die alten Gegensätze zusammen.
Sie beschreiben das Buch als großzügig und narrativ.
Es ist großzügig, weil es nicht Gedankenreste zu hohen Preisen verkauft, sondern eine Menge an Überlegungen im Raum stehen lässt für die weitere Verwendung durch die Leser. Es ist narrativ, weil es trotz aller Exkurse eine narrative Ordnung erzeugt, deren zentrales Thema wiederum das Narrative selbst ist.
Auf welches Publikum zielt das Buch?
Es ist für alle (Facebooker oder nicht), die sich dafür interessieren, wie soziale Netzwerke unsere Gesellschaft verändern und was Goethe, Kafka oder Kracauer dazu gesagt hätten. Es ist für alle, die Hyprerreading auch dann mögen, wenn es keine Hyperlinks gibt. Es nicht für jene, die sich nur für Facebook interessieren.
Buch
ISBN: 978-3-95757-057-4 9783957570574
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Veröffentlicht: 2016
Originaltitel: Facebook (Deutsch)
Schlagworte: Facebook, Social Network, Internet, Soziale Medien, Medienkritik, Medientheorie, Zuckerberg, Instagram, Bill Gates, Whatsapp
»Simanowski analysiert die Facebookgesellschaft sehr sophisticated.«
- Katharina Schmitz, der Freitag
- Katharina Schmitz, der Freitag
»Simankoswki ruft im Plauderton zum Denken auf und macht im selben Zug vor, wie’s geht. Zwischen Medium und distanzierter Position, zwischen den verhärteten Fronten. (...) ›Facebook-Gesellschaft‹ tritt einen Schritt aus dem Diskurschaos heraus und damit in die richtige Richtung: Wenn es für uns keinen Weg mehr zurückgibt, müssen wir anfangen, uns selbst zu überdenken. Als Gesellschaft, als Community, als Netzwerk. Simanowskis kurze Geschichte vom Ende der Erzählungen bietet eine Chance, aus der »kontinuierlichen Gegenwart« heraus das Kommende zu denken.«
- Kristoffer Cornils, Fixpoetry
»Der Reiz des Buches besteht darin, dass Simanowski Denker und Theoretiker der vergangenen Jahrhunderte und noch lebende zu Rate zieht, die sich ja quasi schon immer Gedanken darüber gemacht haben, wie Technik unser Leben verändert … Ein kluges Buch ist so entstanden. Lesevergnügen pur. Denn Robert Simanowski beweist sich auch als feiner Beobachter des digitalen Alltags.«
- Vera Linß, Deutschlandradio Kultur
»Von Bildungsdünkel, Werteverfall und einem Früher-war-alles-besser will Simanowski so gar nichts wissen. … Er verhält sich – und das unterscheidet ihn von den meisten anderen Netzkritikern – wie ein guter Therapeut, der die Wünsche, Bedürfnisse und Leiden seiner Patienten zunächst wertungsfrei anerkennt.«
- Anja Kümmel, ZEIT online